Luisa Neubauer Wie eine junge Frau die Welt rettet

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Es ist einer der ersten sonnigen Januartage, als ich Luisa Neubauer treffe. Bei klirrender Kälte sitze ich auf einer Treppenstufe unweit des Rathausmarktes, dem Ort, an dem am 14. Dezember 2018 die erste Fridays for Future-Demo in Hamburg stattfand. Ich will wissen, wer die 23-jährige Studentin ist und was sie antreibt als Klimaschutzaktivistin, Autorin und Initatorin von Fridays for Future unsere Welt retten zu wollen – und natürlich wie sie mit diesem Mammutprojekt voran kommt. Ich korrigiere mich an dieser Stelle bereits: Luisa erklärt mir später, dass weder Welt noch Klima gerettet werden müssten, sondern die Menschheit.

Hamburg Homestories

Wir sprechen mit kreativen Köpfen und mutigen Machern – Menschen, die unsere Stadt mit ihren Ideen, Projekten und Visionen noch ein bisschen toller machen. In ihren vier Wänden erzählen sie uns, was sie antreibt, was sie sich wünschen und warum sie sich in Hamburg so wohlfühlen. Ready für ein bisschen Klönschnack? Dann los!

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Hey Luisa!

Etwas unbeschwert Nachdenkliches

Aus einer Seitenstraße kommt ein junges Mädchen auf mich zu. Ihr Blick ist auf ihr Smartphone gerichtet. Ihr langes, braunes Haar guckt in liebevoller Unordnung unter einer grauen Bommelmütze hervor. Ihre quietschgelben Socken lassen mich einen flüchtigen Blick auf ihre Knöchel erhaschen. Sie trägt einen Rucksack, einen langen schwarzen Mantel mit Kapuze und die passenden Halbschuhe, schwarzer Lack.

Ich stehe auf. Ihr Blick weicht nicht vom Display ab. Ich gehe ein Stück auf sie zu. Sie läuft unbeirrt weiter. Erst als wir schon fast voreinander stehen, schaut sie hoch: Hi, Luisa! Ich bin Lena. Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast, sage ich. Luisa schaut auf. Sie begrüßt mich freundlich: „Hi, ich bin Luisa! Schön hier zu sein.“ Obwohl ihre Stimme beim ersten Hören etwas mädchenhaft Sanftes hat, ist sie gleichzeitig schwer, bestimmt und irgendwie nachdenklich. Wir laufen in Richtung Rathausmarkt. Sozusagen back to the roots.

SIEBEN FAKTEN ÜBER LUISA NEUBAUER Hey Luisa!

1. Luisa liebt Programmkino. Am liebsten geht sie mit ihren Freundinnen ins ZEISE.

2. Obwohl Luisa im Master studiert, muss sie noch ihre Bachelorarbeit abgeben.

3. Luisa hat sich schon immer für unser Klima stark gemacht. Mal mit mehr, mal mit weniger öffentlichem Interesse.

4. Für Luisa ist Hamburg die schönste Stadt der Welt.

5. Luisa schreibt eine Kolumne im Stern.

6. Am 16. Oktober 2019 veröffentlichte sie zusammen mit Alexander Repenning ihr erstes Buch.

7. Luisa wirkt in mehreren NGOs  mit.

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Was für eine inspirierende Frau!

Ruhe bewahren in ereignisreichen Zeiten

Ich treffe Luisa in turbulenten Zeiten: Vor nicht mal einem halben Jahr erschien ihr erstes Buch „Vom Ende der Klimakrise: Eine Geschichte unserer Zukunft“. Sie ist Hassobjekt alter weißer Männer, die den Klimawandel als schlechten Witz verstehen und gleichzeitig Heldenfigur einer ganzen jungen Generation. Vor wenigen Tagen hat sie einen Sitz im Aufsichtsrat von Siemens abgelehnt. In Australien wüten verheerende Brände, die eine Milliarde tote Tiere forderten.

Wie geht es dir in diesem Chaos, Luisa? „Mir geht’s gut! Es ist ja nichts Neues, dass so viel los ist. Wir haben schon immer viel gemacht und gearbeitet, auch in den vergangenen Jahren, nur vielleicht weniger exponiert. Jetzt ist einfach mehr öffentlich.“ Ich bin beeindruckt von so viel Demut, Bescheidenheit und Stärke. Es wird nicht das letzte Mal in unserem Gespräch sein.

Wir sind hier – wir sind laut – weil ihr unsere Zukunft klaut!

Luisa bei Fridays for Future-Demos

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Strahlender Sonnenschein und ein Termin mit Luisa – geht's noch besser?

Feiern, Freunde und die Menschheit retten

Bekannt geworden ist Luisa durch Fridays for Future-Demos, auf denen sie Slogans à la „Wir sind hier – wir sind laut – weil ihr unsere Zukunft klaut“ schreit. Sie bietet Konzernchefs wie Joe Kaeser mutig die Stirn, mischt mit Greta Thunberg im internationalem Politikgeschehen mit und studiert ganz nebenbei im Master Geographie. Für die meisten in ihren Zwanzigern bereits eine Vollzeitaufgabe. Freizeit scheint rar gesät. Was tut Luisa  in den kostenbaren Stunden nur für sich? Sie gehe gern zum Yoga, Rennrad fahren oder laufen, außerdem klettere sie manchmal und fände Programmkino klasse, erzählt sie mir.

Als sie noch in Hamburg gelebt hat, sei sie oft mit ihren Freundinnen tanzen gegangen. Das sei heute anders geworden, kaum mehr möglich. Der logistische Aufwand ist die größte Hürde: „Ich muss das lange vorbereiten, wenn ich mit Freunden abends ausgehen will –  andere Termine absagen, mich mit Sicherheitspersonal absprechen. Es ist ein anderes Feiern geworden. Nicht mehr öffentlich.“ Ich finde: Ein ganz schön hoher Preis, den sie zahlt. Doch Luisa zahlt ihn gern. Sie ist überzeugt von ihrer Vision. Und ich wieder beeindruckt von ihr.

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Ich könnte mich noch ewig mit Luisa unterhalten!

Greta ist in Hamburg: Wo gehst du mit ihr essen?

Luisa lacht auf diese Frage. Mit Greta könne man nicht einfach so essen gehen, aber wenn dann wohl in ein veganes Restaurant in Ottensen.

Du wachst morgen auf und hast frei!

The girl next door

Luisa pendelt zwischen Berlin, Hamburg, Göttingen und der ganzen Welt. In Göttingen studiert sie. Die Zeit an ihrer Uni beschreibt sie so: „Ein sehr steriles und neutralisierendes Umfeld, in dem ich einfach nur Luisa bin.“ Das Gefühl anders behandelt zu werden, hätte sie nicht. Klar wüssten die Leute, wer sie sei und wenn sie zu spät komme, warum das so ist, aber anders behandelt werden würde sie nicht.

Wir setzen uns auf eine Treppe am Rathaus. Die Sonne scheint uns ins Gesicht. Ich möchte wissen, was Luisa mal beruflich machen möchte. Wem, wenn nicht ihr, dürften alle Türen offen stehen?  „Ich habe zum Glück noch ein bisschen Zeit, bis mein Studium endet. Bis jetzt habe ich noch keine Ahnung, was ich danach machen will.“ Puh, auch sie treibt der klassische Mid-Twenties-Struggle um.

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Wie fing das eigentlich an mit dir und dem Klima?

Luisa überlegt. Wir stehen auf, laufen über den Rathausmarkt. Bleiben stehen. Sie macht lange Pausen, keine ihrer Antworten ist unüberlegt: „Das war im Erdkundeunterricht, in der siebten oder achten Klasse. Das fing ganz lose an, aber das Thema interessierte mich sofort, als eins von vielen, die man so bespricht. Ich bin dann auch relativ schnell stutzig geworden, habe weitergemacht, mein Studium angefangen und das Interesse riss nie ab.“

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Luisa erzählt uns von ihrem turbulenten Alltag

DREI TIPPS, WIE IHR DEN KLIMAWANDEL STOPPEN KÖNNT Die Welt verbessern mit Luisa Neubauer

1. Erkenne deine Privilegien.
Wir nehmen viel für selbstverständlich, was eigentlich ein Privileg ist. Die Möglichkeit in einer heilen Umwelt aufwachsen zu dürfen gehört dazu! Mittlerweile gehen wir im Winter nicht mehr Schlittschuhlaufen auf zugefrorenen Seen. Statisch gesehen werden kommende Sommer uns weltweit Probleme bereiten, zugefrorene Seen sind somit ein Privileg. Wenn man seine Privilegien erkannt hat, sollte man anfangen, für jene einzustehen und sie zu Selbstverständlichkeiten machen.

2. Verlasse deine Komfortzone.
Hinter der Komfortzone wartet erst der Bereich, in dem man lernen und wachsen kann. Der Sprung ins eiskalte Wasser bereichert oft mehr als das Verweilen in der Komfortzone.

3. Entscheide dich, welche Rolle du in der Klimakrise spielen willst.
Nicht jeder muss Klimaaktivist werden oder auf der Straße stehen. Aber die allermeisten Menschen haben Möglichkeit, die großen ökologischen Krisen der Welt ein bisschen mit zu lösen.“

Unsere Erde ist so einzigartig, schützenswert und inspirierend – geographisch, ökologisch und natürlich dank der starken Menschen, die sich jeden Tag einsetzen. Das macht demütig.

Luisa Neubauer

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Luisa lebt in Hamburg, Berlin und Göttingen.

Fridays for Future verändert die Welt

In einem Jahr Fridays for Future hat Luisa mit bedeutenden Persönlichkeiten wie Barack Obama gesprochen, auf der Straße demonstriert und sich den Fragen der Öffentlichkeit und Medien bei Markus Lanz gestellt. Mir drängt sich der Gedanke auf, die 23-Jährige hätte nahezu jeden Typus Mensch in ihrem jungen Leben getroffen. Wie hat das Jahr Fridays for Future Luisas Blick auf die Welt verändert?

„Es hat ganz viel dekonstruiert: Was ist Politik? Was ist Gesellschaft? Was ist Wissenschaft? Außerdem hat es ganz viel desillusioniert: Wie geschützt sind wir eigentlich? Und: Wie sicher ist meine Zukunft? Aber es hat meinen Blick auf die Welt auch ein Stück verzaubert. Unsere Erde ist so einzigartig, schützenwert und inspirierend – geographisch, ökologisch und natürlich dank der starken Menschen, die sich jeden Tag einsetzen. Das macht sehr demütig.“

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Vorbild einer ganzen Generation: Luisa Neubauer

Luisas Ruheoase in Hamburg

Wenn Luisa mal den Kopf abschalten muss, läuft sie am liebsten entlang des Elbstrandes, rundum die Strandperle. Oder sie fährt mit ihrem Rennrad gen Norden, raus aus der Stadt.

Alles hört auf dein Kommando: Du wirst Bundeskanzlerin!

Die Liebe zum Schreiben

Damit wirklich keine Langeweile aufkommt, hat Luisa im Herbst 2019 noch ihr erstes Buch veröffentlicht. Ihren Beitrag zum Diskurs: „Ich wollte das Buch schon lange vor Fridays for Future schreiben. Ich hatte das Gefühl, es gibt so viele Fragen, auf die ich Antworten suchen und auch formulieren möchte. Aus dieser Motivation heraus wollte ich einen eigenen Blick auf die Dinge zur Verfügung stellen und eine Haltung formulieren. Ich beschäftige mich schon lange damit, wie wir die Klimakrise kommunizieren, Geschichten erzählen und Menschen einfangen können. Außerdem arbeite ich schon länger journalistisch und schreibe einfach wahnsinnig gern. Deshalb ist mein Buch entstanden, unabhängig von Fridays for Future.”

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ALLES IST GLEICH DESASTRÖS. Luisa, warum leugnen Menschen noch immer den Klimawandel?

1. Weil das ein bequemer Umgang mit dem Thema ist.
Der Klimawandel ist eine so unangenehme und unbekannte Art der Krise. Sie weicht von ihrer Logik und Dynamik her so stark von dem ab, was man kennt, dass man darauf keine Antworten hat. Vielleicht möchte man sie dann auch gar nicht suchen, weil es eigene Programmatiken hinterfragen würde. Dann ist es natürlich einfach zu sagen Ich schließe das grundsätzlich für mich aus und widme mich anderen Themen.

2. Die attackieren, die die Botschaften der Klimakrise übermitteln.
Das sind dann unter anderem die Greta-Basher. Auch eine bequeme Art und Weise des Umgangs. So rutscht man nicht ins Milieu der Klimaleugner, die zumindest in Deutschland ein bisschen verpönt sind.

3. Die Klimakrise pro forma anerkennen und etwas völlig Entgegengesetztes machen, in der Art und Weise wie man agiert.
Das ist dann so CDU-Style. Wir erleben Leute, die fragen, warum Trump ein Klimawandel-Leugner sei, aber gleichzeitig eine Politik betreiben, die klimawandelleugnerartig ist, weil sie vorgibt zu begreifen, was abgeht und dann aber nichts umsetzt, was dem entgegen wirken würde.

Was braucht es noch?

Warum öffnen die verheerenden Buschbrände in Australien (um nur eine gegenwärtige, erschütternde Katastrophe zu nennen) uns eigentlich nicht endgültig die Augen? Luisa erklärt mir, dass Australien in der Tat ein Moment sein müsste, bei dem Menschen stutzig werden und verstehen müssten, dass die Natur ihnen überlegen sei. Aber das sei ja nicht das einzige ökologische Beispiel für die Abhängigkeit von Mensch zu Natur.

Nur man müsse sich dem eben auch öffnen, selbst wenn es dem widerspreche, wie wir uns die Welt vorstellen. Macht Sinn. Doch bis das in unseren priviligierten Großstadtköpfen angekommen ist, scheint es noch ein wenig zu dauern.

Fridays for Future rettet morgen die Erde!

Kann unsere Generation die Welt retten?

Ich bin zwar keine Schülerin mehr, zähle mich aber trotzdem zur Fridays for Future-Generation, die sich selbstverständlich über eine Einstellung definiert und nicht über das Alter. Können wir es schaffen das Klima alleine zu retten? Denn schaut man zu den älteren Herren in Anzügen und den Damen in ihren zugeknöpften Kostümen in den Eliten unseres Landes, kommt das flaue Gefühl auf, dass es wohl an uns hängen bleiben wird.

Luisa findet realistische und irgendwie ernüchternde Worte: „Wir müssen die Menschen, nicht das Klima retten. Das Klima hat keine Krise. Die Menschheit hat sie, dadurch was sie ökologisch anrichtet. Wir alleine, als Generation werden das nicht retten können. Ausgeschlossen. Dafür sind wir in zu vielen Machthierachien gefangen. Was wir machen können, ist uns selbst, als Menschheit, in einem Maß zu retten, das die schlimmsten Schäden vermeidet.“ 

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Luise findet, man muss nicht das Klima, sondern die Menschheit retten.

Luisas Element ist das Wasser

Wenn Luisa nicht in Hamburg ist, vermisst sie am meisten die Alster und die Elbe. Hamburg ist für sie einfach die schönste Stadt der Welt.

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Hier am Rathausmarkt hat für Luisa alles begonnen.

Glückseeligkeit und Selbstwirksamkeit

Unsere Zeit mit Luisa neigt sich dem Ende zu. In wenigen Tagen wird sie mit Greta Thunberg zum Weltwirtschaftsforum in Davos reisen, die Großen aus Politik und Wirtschaft für den Klimawandel sensibilisieren. So ist Luisa eben: mutig, stark und für mich extrem inspirierend. Bevor sie sich Politik und Weltrettung annimmt, will sie sich nach unserem Interview noch mit Freunden treffen. Sie gebe sich Mühe, alles unter einen Hut zu bekommen.

Eine letzte Frage haben wir noch: Was erwartest du von dir selbst, Luisa? – „Ich möchte für die Überzeugung ein- und aufstehen, die ich vertrete. Liebevoll mit mir selbst und anderen sein. Sowas wie Glückseligkeit empfinden können und Selbstwirksamkeit erfahren.“