Es ist der 7. September 2020. Entlang der Elbe und am Hamburger Hafenbecken stehen Tausende Schaulustige und sehen einem großen Segelschiff dabei zu, wie es langsam in den Hafen einläuft. Auch auf dem Wasser tummeln sich Hunderte Zuschauer, kleinere Segler und Boote und schauen hoch zu dem Schiff, dessen vier großen Masten in den Himmel ragen. „Peking“ steht in großen goldenen Buchstaben auf dem Schiffsrumpf. Doch was hat es mit diesem Schiff auf sich, dass solch ein Trubel um seine Ankunft in Hamburg gemacht wird? Sperrt eure Lauscher auf, denn die Peking hat ein beeindruckendes Leben hinter sich und verdient nicht umsonst ein bisschen Respekt.
In unserer neuen Serie gehen wir zusammen mit der Stiftung Historische Museen Hamburg auf Zeitreise – und finden für euch heraus, warum unsere Hansestadt heute so ist wie sie ist. Ein bisschen wie früher im Geschichtsunterricht, nur ohne, dass ihr Jahreszahlen auswendig lernen müsst. Los geht’s!
Werfen wir mal kurz einen Blick zurück. Und zwar 200 Jahre. Mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnt die industrielle Revolution. Ihr alle habt bereits davon gehört. Technische Errungenschaften führen in dieser Zeit zu einer rapiden Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, was zur Folge hat, dass die Bevölkerung Europas rasant wächst. Die Bauern kommen mit dem Anbau von Lebensmitteln kaum noch hinterher und viele Menschen müssen Hunger leiden. Zum Glück wird 1761 Thaddäus Heinke in Österreich geboren. Thaddäus ist nicht nur ein ausgesprochen kluger Kopf, sondern auch Geologe, Chemiker und Botaniker und entdeckt auf einer seiner Forschungsreisen in der Atacama-Wüste in Chile das Wundermittel Salpeter.
Salpeter enthält reaktiven Stickstoff, der das Wachstum von Pflanzen stark anregt. Zwar ist Salpeter auch in großen Mengen in der Luft vorhanden, allerdings können Pflanzen Salpeter in dieser Form nicht für sich nutzen. Weltweit gibt es nur sehr wenige natürliche Salpeter-Vorkommen.
Als der gute Thaddäus eines davon in Chile entdeckt, ist schnell klar, welche Bedeutung diese Entdeckung für den Anbau von Lebensmitteln in Europa haben kann. Mit Salpeter könnte Düngemittel hergestellt und dadurch der Anbau ertragreicher und die vielen hungrigen Mägen endlich gefüllt werden. Außerdem wird Salpeter (Natriumnitrat) bei der Herstellung von Schwarzpulver verwendet. In kürzester Zeit entstehen Handelsrouten und man beginnt Schiffsladungen mit Salpeter von Chile nach Europa zur transportieren.
Noch ein Zeitsprung: Inzwischen schreiben wir das Jahr 1871. In dieser Zeit erlebt Hamburg als Hafenstadt einen enormen Aufschwung. Die Reedereien machen gute Geschäfte. Auch die Laiesz-Reederei blüht unter diesen Entwicklungen auf. Doch während alle Reedereien in die Entwicklung und den Bau von Dampfschiffen investieren, trifft Carl Ferdinand Laeisz eine folgenträchtige Entscheidung. Er investiert statt in Dampfschiffe in die Optimierung von Segelschiffen. Denn er hat den Verdacht, dass sie vor allem auf der Route nach Chile beim Frachtverkehr sehr viel profitabler sein können als die kostenintensiven Dampfer. Und er wird recht behalten.
Laeizs macht 1886 die Salpeterfahrten nach Chile zum Hauptgeschäft seiner Reederei und hat dabei mit seinen optimierten Segelschiffen großen Erfolg. Denn seine Segler sind nicht nur schneller und kostengünstiger, sondern erweisen sich besonders beim Umschiffen des Kap Hoorn durch ihre Geschwindigkeit und Präzision als den Dampf- und Maschinenschiffen überlegen. Zur damaligen Zeit wird das Kap Hoorn weltweit von Kapitänen gefürchtet. Denn aufgrund des starken Windes und hohen Wellengangs vor der Südspitze Südamerikas sinken hier viele Schiffe. Weit über 800 Wracks liegen hier auf einem der größten Schiffsfriedhöfe am Meeresgrund.
Na? Hättet ihr Lust, auf einem Segelschiff zum Kap Hoorn zu segeln? Klingt erst einmal romantisch. Aber glaubt mir, das war es tatsächlich weniger. Immerhin war die 30-köpfige Mannschaft für die Fahrt von Hamburg nach Chile ganze 74 Tage auf diesen paar Hundert Quadratmetern zusammengepfercht. Einzelunterkünfte gab es nur für Kapitän und Offizier. Alle anderen Seeleute teilten sich beengte Kammern. Und täglich musste auf dem Schiff so einiges erledigt werden, um alles am Laufen zu halten: Segelmanöver, Rudern, Wachegehen, Backschaftsdienst (Ja, auch die mussten damals den Tisch decken), Kombüsendienst, Reinschiffmachen und Reparaturen durchführen.
Die PEKING, die 1911 bei Blohm und Voss vom Stapel läuft, gehört zu den letzten großen Frachtseglern, die Laeisz für seine Salpeter-Flotte bauen lässt. Doch während die PEKING 1914 wieder einmal nach Chile segelt, bricht der Erste Weltkrieg aus. Als das Schiff mit seiner 30-köpfigen Crew am 28. August dort ankommt, wird die PEKING direkt von den Briten beschlagnahmt. Sie haben mit ihrer Kriegsflotte eine Seeblockade errichtet und blockieren damit die Salpetereinfuhr nach Deutschland. Fünf Jahre wird es dauern, bis der Kapitän und seine Mannschaft Chile wieder verlassen können.
Ob ihr es glaubt oder nicht: Der Name Peking wurde aufgrund eines Pudels ausgewählt. Jedoch handelte es sich dabei um keinen tierischen Pudel, sondern um den Spitznamen der Frau von Carl Heinrich Laeisz, Sophie Knöhr. Die hatte so schöne Locken, dass sie im Kreise der Familie den Spitznamen Pudel erhielt. Und so machte sich die Reederfamilie einen Spaß daraus, alle ihre Flying P-Liner fortan mit dem Anfangsbuchstaben P zu benennen.
1911, Jungfernfahrt am 16. Mai 1911 nach Chile
F. Laeisz
Blohm & Voss
Länge: 115 m | Breite: 14,4 m | Höhe mit Großmast: 54 m über der Wasserlinie | Ladekapazität: 5.300 Tonnen
Nach dem Ersten Weltkrieg geht die PEKING als Reparationsleistung an die Siegermächte über. Doch durch einige kluge Tricks gelingt es Laeisz die PEKING 1921 wieder in seinen Besitz zu bringen und bereits wenige Monate später nimmt sie wieder Kurs auf Südamerika. Doch inzwischen hat sich beim Handel mit Salpeter einiges getan. Denn im April 1917 gelingt es, das erste Mal Salpeter nun auch künstlich herzustellen, weshalb die Einfuhr aus Chile langsam, aber sicher überflüssig wird. Und so wird die PEKING bereits elf Jahre später, nach 17 erfolgreichen Salpeterfahrten, als Internatsschiff nach England verkauft, wo sie mehr als vierzig Jahre lang als Schulschiff der Kadettenausbildung dient.
1974 wird die PEKING schließlich versteigert und geht daraufhin auf dem East River zu Füßen der berühmten Brooklyn Bridge vor Anker. Hier dient sie dem South Street Seaport Museum als Museumsschiff und Touristen aus aller Welt bewundern hier das beeindruckende Segelschiff. Doch das Museum bekommt zunehmend Probleme bei der Instandhaltung und Restaurierung des Schiffes, wobei dessen Heimatstadt Hamburg mit schmerzender Seele zuguckt. Doch endlich, nach jahrelangen Verhandlungen, kann eine Einigung getroffen werden und die PEKING wird in der COMBI DOCK III, einem Schwergutschiff, von New York nach Hamburg gebracht. Hier wird sie knapp drei Jahre lang restauriert, um ihr zu ihrem alten Glanz zu verhelfen.
88 Jahre nachdem die PEKING zum letzten Mal aus dem Hamburger Hafen ausgelaufen ist, hat sie wieder ihren Weg nach Hause gefunden. Ab 2021 soll die PEKING dann endgültig am Holthusenkai vor Anker gehen und dort endlich für alle neugierigen Besucher begehbar sein.
Willkommen Zuhause!